Oben im Tal, am Rande eines einsamen Bergdorfes in Südtirol, halte ich Rast an einem alten Kirchlein. Neugierig gehe ich um das Gemäuer herum, betrachte es von allen Seiten. Ein imposantes verwaschenes Fresko ziert den Eingang. Leider ist die Tür hinein verschlossen. Ich überlege, was dieses über tausend Jahre alte Gemäuer wohl schon alles erlebt haben mag.
Ich lese nach und bin überrascht über seine wechselhafte Geschichte. Unter anderem soll das Kirchlein im Lauf der Jahrhunderte schon als Schlafstatt für Pilger, als Lagerhalle für Getreide, als Geräteschuppen oder ganz allgemein als Abstellkammer gedient haben. Man fand also immer eine Verwendung. Auf diese Weise hat das Kirchlein überlebt.
Ich nehme die Sonnenbrille ab und reibe mir die Augen. Die vielen „Zweckentfremdungen“ amüsieren mich, ehrlich gesagt, und sie machen mich nachdenklich zugleich. Ich erinnere mich an Fälle, wo in Kirchen mangels religiösen Interesses inzwischen regelmäßig Flohmärkte und Rockkonzerte stattfinden. Dieser Bau aber scheint nun wieder zu dem zurückgekehrt, als was er seinem Ursprung nach gedacht war.
Alles hat seine Phasen, denke ich. Der Mensch war aus Überlebensgründen immer schon pragmatisch und nutzenorientiert. Andererseits leitet uns dieses unermüdliche Streben nach dem Höheren und Schönen. In diesem Sinne sind wir in höchstem Maße ambivalent und verstrickt zugleich. Hielte uns diese Spannung, die Spannung zwischen Pragmatismus und Idealismus, nicht mehr auf Trab, wären wir nicht mehr, was wir sind. Denke ich.